UFO-fragmente

EIN GESPENSTISCHER TREFF (Teil 1)

Kosmischer Schnitt. Berger und ich – man könnte uns für Freunde halten. Wir sitzen in der Küche und erörtern eine Frage von zentraler Bedeutung: die Frage, welche Person das Haus bei Bewußtsein und welche Person das Haus im Sarg verlassen wird, das heißt, um genau zu sein: welche Personen das Haus im Sarg verlassen werden. Die Frage bereitet uns nicht nur im Hinblick auf die Grammatik Probleme. Schon die Frage selbst ist ein Problem. Ist sie überhaupt zulässig? Natürlich weiß Berger, daß meine Bereitschaft, auf eine Frage einzugehen, deren Zulässigkeit nicht geklärt ist, und im Namen dieser Frage einen Dialog zu führen, in Anbetracht der Umstände, die für sich sprechen, an ein Wunder grenzt – „Bravo!“ –, schließlich trage ich für die Problematik, inwieweit die Frage zulässig ist oder nicht, weder die Verantwortung noch fällt eine solche Frage, selbst wenn sie zulässig wäre, in meinen Zuständigkeitsbereich; nichts wäre daher für mich leichter, ja ratsamer, als der Gefahr, meine Kompetenzen zu überschreiten und dem Risiko, die ursprüngliche, Franklin und Catherine betreffende Problematik auf mich zurückspringen zu lassen, dadurch zu entgehen, daß ich die Frage einfach streiche, womit sämtliche Probleme, also auch die fiktiven, verschwinden würden – für mich. Lasse ich die Frage hingegen zu, taucht nicht nur das Problem, inwieweit die Frage zulässig ist, auf, sondern ein ganz anderes Problem: nämlich das Problem, das mein Gast, also Franklin hat. Hand aufs Herz: Weshalb soll ich mich mit Problemen belasten, die nicht mich, sondern andere, in diesem Fall Artisten betreffen?

Schließlich geht es um Tiere, also um ausgedehnte Materie, die sich im Grunde von Steinen nicht unterscheidet: man kann sie zersägen oder zerschneiden, wenn „Tiere sich im Schmerz winden und heulen“, hieß es einst im Namen der Wissenschaft, „dann spüren sie sowenig die Schmerzen wie die knarrende, schlecht geölte Tür“, alles, was sie spüren, beruht im Grunde doch nur auf Einbildung! Nicht? Und selbst wenn es mehr als nur Einbildung wäre: Für das Leben Franklins kann und darf ich nicht geradestehen, während ich für mich schon selber sorgen kann. Und Catherine? Keine Frage: Die Literaturgräfin, die jenseits aller nur denkbaren Probleme verweilt – ihr glänzender Körper liegt reglos im Bett, als sei er eine Spiegelscherbe im Mobiliar –, hat die besten Karten von uns, ihr Blatt ist uneinholbar und mit keinem vergleichbar: hinter Catherines Gewinn, der, sobald zwischen mir und Berger hinsichtlich der Verteilung der verbliebenen Ränge Einigkeit besteht, mit dem Tod honoriert wird, lauert weder ein Problem noch besteht überhaupt die Möglichkeit, daß so etwas wie ein Problem auftauchen könnte. Denn in Abwandlung einer alten Weisheit, die auch noch heute gilt, kann sich ein Mann, der von seinem Ziel nur noch durch einen Raum getrennt ist, der nicht größer als ein Leichnam ist, aus dem Körper der Frau, die ihm zu Füßen liegt, eine Stufe bauen. Auf Deutsch: Die Achse, die sich durch die Zone ihrer Geilheit bohrt, ist der verlängerte Arm meiner Phantasien, die sich zwar im Blick auf Höheres, Tieferes erschöpfen dürften, während ich den Sprung riskiere, aber solange der ideologische Grundakkord stimmt, wird das Publikum weiterhin „Bravo!“ skandieren. Zu Recht. Mit dem Mord an Catherine werde ich der Problematik, die in unserem Leben fundiert und, streng besehen, sich davon nährt, die Grundlage entziehen, kurz: den Virus entfernen. Kein Re!

Das alles ist kompliziert, weil es so einfach ist. Allein Berger kann folgen. Berger sieht die Sachlage ebenso wie ich: kritisch. Bergers Chance, sofern von Chance gesprochen werden darf, besteht darin, trotz der Aussichtslosigkeit seiner Lage, Gelassenheit zu demonstrieren: Bergers einziger Trumpf. Schließlich hat er nichts zu verlieren, vorerst. Denn letzthin weiß auch Berger, daß sein Trumpf, mag er auch zur Stunde unangreifbar sein, wie alles im Leben von Vergänglichkeit getragen wird, also nichtig ist. Darüber hinaus kann dieser Trumpf, ob nichtig oder nicht, schon zu Lebzeiten zum Verhängnis werden: Schließlich kann jemand, der fortwährend Gelassenheit demonstriert, so wie Berger, der mein Freund ist, lästiger sein als eine Person, die ihr Schicksaal bereits verspielt hat, so wie Catherine, die meine Freundin war. Wen soll ich also zuerst umbringen? Berger oder Catherine? Eine Frage des Grenznutzens.


Text aus 1999