ENDSTATION

Widerstand ist zwecklos. Der Kampf, der nie einer war, ist entschieden. Man hätte sich wehren können, als noch Zeit dazu war. 1990, 2000, 2010. Doch das Volk, das nicht ein einziges Gedicht von Schiller aufsagen kann, hat jeden Quatsch mitgemacht: Vom Kruzifix-Urteil bis zum Genderwahn, von der Zersetzung des Mann/Frau-Schemas bis zum Bruch der Respekt-Schranke zwischen Alt und Jung. Auf keiner einzigen Party, die wir in all den Jahrzehnten besucht haben, wurde Bach oder Schubert gespielt. Und keine einzige Frau heißt noch Roswitha. Die meisten Menschen, denen wir begegnen, kennen nicht einmal fünf Traditionsgerichte. Und wenn ich den Namen Caspar David Friedrich erwähne, wird gelacht. Überhaupt wird über die Namen unserer Großväter gelacht.
Auch über Nietzsche wird gelacht.
Oder über Heidegger.

Nicht mehr lange.

Fragmentsturz (Der Bau/Franz Kafka) – ein mögliches Ende…

Das Finale

… aber alles blieb unverändert, das ist unzweifelhaft, denn über alle Selbsttäuschungen hinweg, die Verstand und Urteilskraft verdunkeln, meinen Sinnen kann ich trauen und mein Gedächtnis ist ungetrübt. Andererseits liegt in der Vergewisserung dieser Unversehrtheit die erste Spur nachlassender Kräfte. Warum muß ich mich dessen vergewissern, was früher fraglos vor aller Überlegung lag? Derart schulterklopfend ist der Beweis erbracht, daß mein Verfall in mein Inneres vordringt, Geist und Instinkt aushöhlend. Eine verhängnisvolle Umschlingung. Dort, an dieser letzen Bastion, wo ich unangreifbar schien, kann nun der Feind triumphieren. Mein Gegner, selbst der nur in der Einbildung vorhandene, steht über mir, das unzweifelhafte Bewußtsein meiner Existenz erlischt; auch ohne Gegner bin ich verloren, schlimmer noch: ohne Gegner bin ich nichts. Das Sinnlose aller Fragen einsehend, spüre ich die Kühle des Baus, die mich jäher noch umfängt. Und wieder horche ich – diese letzte aller Fragen ist geblieben – in die Tiefe neuer Gänge: Höre ich überhaupt ein Zischen? Das, was ich mir sehnlicher nicht hätte wünschen können, ruft Bestürzung in mir hervor angesichts einer einzigartigen, trügerischen Stille, die förmlich in mich hineinfällt. Diese scheinbare, eingebildete, diese herbeigesehnte Stille – sie ist bedrohlicher als das größte Zischen je sein könnte. Ich sinke nieder, schiebe meinen Leib wahllos von Loch zu Loch und grabe, gänzlich meiner Verzweiflung ergeben, mehr mit den Ohren als mit allem Übrigen, als wären sie die Hand, die ich dem Zischer entgegenstrecke. Ach, würde ich ihn doch nur hören! Wie befreiend selbst das hartnäckigste Zischen jetzt wäre, die Gewißheit des Feindes – der Kampf ginge weiter. Und damit die Hoffnung, auch wenn die Übermacht eines solchen Gegners keinen Kampf ermöglicht, ein uneigentlicher Kampf wäre es schon, wengistens der Legende nach. Nun aber, wo die Massen, während ich wie irre weitergrabe, über mich hinstürzen und keine Hoffnung auf Rückkehr besteht, ist es ein Fliehen zum Feind, zum erlösenden Griff seiner Klauen, und vielleicht nicht einmal das. Und doch fühle ich mich freier noch als in den süßesten Stunden. Wozu der Kampf? Hineinrollend in den Tod ist das Gefühl von Freiheit erst hier nach allen Seiten hin vollständig und von geradezu aufreizender Verlockung. Endgültigkeit, die mich würgend aufnimmt. Es ist vollbracht.

Mark Rinasky

Abc des Untergangs

Abc des Untergangs

Des Menschen unersättliches Gemüt verzückt durch die Distanzen rückt
Doch scheint als ob es nur noch Sterne wären, die der Mensch erblickt
Im Erdkreis seines Wirkens schon in der Kindheit frühster Stunde
Der Seele ungetrübte Kraft am Tau der Wirklichkeit zerbricht: Licht!

Wenn im Wahn des Alltags ein großer Wille mit Distanz regiert
Das verlassene Selbst auf einen Zirkel transzendiert
Entfernter Nähe Defizit – ein Korrelat des Nichts
Im Regelwerk verlorener Ideale ins Gesetz der Zeit gerückt: Zurück!

Allein das Band der Liebe nur mit Bedacht zum Einsatz kommt
Gestimmt im Notruf der Sirenen der Ursprung finsteren Mächten folgt
Indes der Blindheit Ansturm auf fliehende Distanzen zielt
Und das Band der Liebe am Tau der Wirklichkeit zerbricht: Verzicht!

Und ein verschrobener Kampf beginnt, der sich im allerkleinsten Kreise dreht
Vom Geschrei ergrauter Paare ins Erhabene getragen, des Fortschritts blinder Eifer vergebens nach den Sternen greift
Braungoldene Klänge – der Jugend Unschuld ein böses Erbe ziert:

Blind date!